Zwischen der Entlassung aus der Thoraxchirurgie und DEM Anruf lag ein Wochenende und zwei Verbandswechsel an den Stellen der Biopsie und Drainage. Ein Wochenende, das dauerte wie noch keines zuvor.
Es war Montag Morgen. Ich befand mich bei der empfohlenen Blutabnahme beim Hausarzt und wartete darauf aus dem Krankenhaus mit den Resultaten aufgerufen zu werden .Ich wusste nicht ob das heute oder erst in zwei Tagen passieren würde. Ich saß vor der Ordination, da diese überfüllt war und ich mich auf keinen Fall von jemandem anstecken durfte. Während ich auf social Media scrollte und versuchte mich abzulenken und meine Wartezeit zu verkürzen, läutete mein Handy. Meinen Körper durchflutete ein Wechselbad der Gefühle. Schrecken, Erleichterung und Angst waren in einer Millisekunde da. Ich sah die Vorwahl und wusste sofort, dass es sich um den erwarteten Anruf handelte, denn ich erwartete sonst keinen Anruf aus Graz.
Mit zittriger Stimme hob ich ab. Auf der anderen Seite sprach eine Ärztin aus der Thoraxchirurgie, stellte sich vor und erklärte mir mit freudiger Stimme und scheinbar deutlich erleichtert, dass die Resultate der Biopsie endlich da wären. Sie erklärte mir sie hätten den Verdacht auf etwas Schlimmeres gehabt, es würde sich um ein klassisches Hodgkin Lymphom handeln und ich hätte sehr gute Heilungschancen. Ich musste zuerst einmal schlucken und nachdenken bevor ich etwas sagen konnte, denn ich wusste weder was ein klassisches Hodgkin Lymphom ist, noch was das Schlimmere gewesen wäre, noch wusste ich auf was ich jetzt machen sollte. Wäre "Yeii!" eine angebrachte Antwort?
Kurz herrschte Stille während des Telefonats. Überhaupt konnte ich zu diesem Zeitpunkt Ihre Stimmlage sowie die Art der Überbringung so einer Nachricht nicht verbinden oder verstehen. Nachdem sie mich fragte ob ich noch da wäre und ich bejahte,
begann die Ärztin mir zu erklären ich solle morgen in die hämatologische Bettenstation kommen um sofort mit der Chemo starten zu können, davor aber noch zur Gynäkologie. Ich schrieb mit um Nichts zu vergessen jedoch hatte ich vor lauter Aufregung völlig vergessen zu fragen was ich in der Gynäkologie sollte.
Natürlich hatte ich in dem Moment keinen Stift und kein Papier zur Hand. Ich war so durch den Wind, dass ich zum Anmeldeschalter in die Ordination ging und mich vor eine Dame drängte um mir einen Stift zu schnappen, der dort lag. Ich sprach unbewusst nach, was mir am Telefon erklärt wurde um ja Nichts falsch zu notieren. Alle Anwesenden im Wartebereich sahen mich an als wäre ich völlig neben der Spur. Kann ich ihnen auch nicht verübeln, denn ich war es auch. Ich kann nur erahnen wie diese Situation auf einen nichts ahnenden Außenstehenden gewirkt haben muss.
Ich weiß beim besten Willen nicht mehr wie lange dieses Gespräch dauerte, ich weiß nur noch, dass ich Nichts verstanden habe außer den mitgeschriebenen Infos: 9 Uhr, LKH Graz, Gynäkologie und im Anschluss Hämatologie. Ich muss gestehen, zuerst versuchte ich mal herauszufinden was die Hämatologie überhaupt sein sollte. Ich konnte mir Nichts darunter vorstellen und war eigentlich vor Fassungslosigkeit mehr als unfähig neue Infos zu verarbeiten. Nach einem kurzen Exkurs auf Google wusste ich etwas mehr.
Kurz gesagt befasst sich die Hämatologie mit allen gut- als auch bösartigen Erkrankungen des Knochenmarks, Blutes und des lymphatischen Systems. Danke Google! Ich war nun ein Stück mehr informiert über das was folgen sollte. Oder doch nicht? Ich hatte ja eigentlich keinen Plan mehr was passierte.
Ich erfuhr erst vor wenigen Minuten, dass ich mich einer Chemotherapie unterziehen muss. Ich erfuhr offiziell, dass ich Krebs habe. Mein Kopf war voller Fragezeichen. Ich erlebte gerade das, das ich mir nie vorstellen konnte erleben zu können. Mich überkamen in so kurzer Zeit so viele Emotionen. Von Angst, über Erleichterung, Wut und Verzweiflung konnte ich Lieder singen.
Der Rest des Tages der nach diesem Anruf noch folgte, ist mir in völlig schwammiger Erinnerung geblieben. Ich denke Mal, dass ich das Ganze unbewusst verdränge und eigentlich ungern zurückdenke. Ich weiß nur noch, dass ich mich fühlte als hätte mir jemand ein Loch in meinen Magen gebohrt. Ich fühlte mich gleichzeitig so leer und so voll neuer Infos die ich eigentlich nicht haben wollte. Jede Ablenkung war sinnlos. Ich wartete darauf, dass der Tag verging und packte meine Tasche für den Krankenhausaufenthalt.
Ich weiß noch, dass irgendwann im Laufe des Tages im Radio ein Song von Pink lief und ich mich fragte, wie viele ihrer Songs ich in Zukunft noch miterleben würde.